Warum unsere Angst vor Burnout mehr schaden kann als die Erkrankung selbst
Kaum eine Krankheit hat es in den letzten Jahren so oft und so prominent in die Medien geschafft wie Burnout. Und dabei handelt es sich bei Burnout offiziell noch nicht einmal um eine Krankheit! In der international gültigen Klassifizierung von Krankheiten (ICD-10) taucht Burnout zwar auf, allerdings lediglich als Rahmendiagnose unter der Überschrift „Probleme in Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“.
Mit welchen Konsequenzen? Für die Betroffenen (die Schätzungen für Deutschland gehen bereits in die Millionen) ändert das zunächst nichts – sie sind in Not und benötigen Hilfe; unabhängig davon, ob ihr Zustand nun als Erkrankung angesehen wird, oder nicht. Allerdings kann aufgrund einer Rahmendiagnose auch keine Überweisung in eine Klinik erfolgen. So behelfen sich viele Ärzte und Betroffene mit der Diagnose „Depressive Episode“, welche wiederum zu den Behandlungsdiagnosen zählt.
In meiner Arbeit verzichte ich auf akribische Versuche einer Definition. Als ressourcen- und lösungsorientierter Coach und Berater konzentriere ich mich auf das Einzige, was meiner Meinung nach zählt: Den Menschen und seine Zukunft.
Denn die Bestrebungen, Burnout zu definieren, abzugrenzen und zu fassen beinhalten meines Erachtens auch den Versuch, fixe Konzepte zur Vermeidung bzw. Behandlung zu erhalten.
Was aber, wenn Burnout Ergebnis unserer Individualität ist? Gegen bestimmte Erreger gibt es entsprechende Antibiotika, gegen Bluthochdruck gibt es Beta-Blocker und gegen Platzwunden gibt es Nadel und Faden.
Was aber gibt es gegen Burnout, wenn es das Produkt unserer individuellen Denk- und Verhaltensmuster, unserer Erlebnisse und ihrer Deutung und unserer Vorstellung von der Weilt ist? Dann versagen die aus der Medizin bekannten Modelle von Ursache und Wirkung; bei der Entstehung der Krankheit ebenso wie bei der Bekämpfung.
Rückblickend auf meine eigenen Erfahrungen mit Burnout sowie die Erkenntnisse aus meiner Arbeit mit Betroffenen empfehle ich Betroffenen daher die folgende Vorgehensweise:
1. (Fach-)ärztliche Untersuchung
Symptome, die den Verdacht auf Burnout begründen, können vielfältige Ursachen haben. So kann eine Depression z.B. auch durch einen Gehirntumor hervorgerufen werden. Da nur eine zuverlässige Diagnose eine erfolgreiche Behandlung zulässt, ist eine ärztliche Untersuchung und weitere Begleitung unerlässlich.
2. Herstellung der Arbeitsfähigkeit
Je nach Intensitätsgrad des Burnouts kann es erforderlich sein, den Betroffenen durch verschiedene Maßnahmen zunächst „arbeitsfähig“ zu machen. Stehen ihm Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und gefühlte Ohnmacht ins Gesicht geschrieben, ist er sicherlich nicht in der Lage, wesentliche Verhaltensänderungen zu erarbeiten geschweige denn umzusetzen. Solche Maßnahmen können beispielsweise sein: Entbindung von beruflichen und privaten Pflichten, Ruhe, räumliche Distanz zum gewohnten Umfeld, Präparate, die zur Beruhigung beitragen, Ablenkung, leichter Sport etc. Auch vor dem Einsatz dieser Maßnahmen ist unbedingt ärztlicher Rat einzuholen!
3. Reflektion
Zeigt der Betroffene den Wunsch und die Bereitschaft, die erlebte Krise aktiv zu verarbeiten, so kann im Beratungsgespräch mit ihrer Analyse begonnen werden: Was ist passiert? Was war der Auslöser? Wie hat es sich angefühlt? Hast Du etwas Vergleichbares schon einmal erlebt? Wie hat die Krise Dich verändert? Dieser Schritt hilft dem Betroffenen, ein Bild der aktuellen Situation zu entwickeln und damit wieder in die Handlungsfähigkeit zu kommen. Der Schritt ist bereits erfolgreich, wenn er sich über seine Situation bewusst ist und sich nicht nur als ihr Opfer sieht.
4. Analyse
Nachdem es ein klares Bild der Krise gibt, stellt sich unweigerlich die Frage danach, wie es dazu kommen konnte. Und hier verlassen wir die o.a. Denkmuster von Ursache und Wirkung, denn jetzt geht es um Gründe und Ursachen, die nur der Betroffene kennen kann, da sie so einzigartig sind wie er selbst. Bei der Analyse hat sich der Einsatz von systemischen Fragen bewährt, die dem Betroffenen die Möglichkeit geben, Erkenntnisse über sich selbst zu erlangen. Der der systemischen Beratung angemessenen Haltung entspricht es darüber hinaus, stets Wertschätzung dem Betroffenen gegenüber zu haben und diese auch zu äußern: Egal, welche Gedanken, Gefühle, Ideen hier zutage kommen, sie haben ihren Grund und ihre Berechtigung.
5. Alternativen
Erstaunlich oft liegen die Ursachen für Burnout in den selbstverständlichsten Denkmustern. Erst, wenn diese bewusst gemacht und in Frage gestellt werden, können Alternativen entwickelt und überprüft werden.
An dieser Stelle ein konkretes Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung:
In den Jahren vor meinem eigenen Burnout war ich wohl das, was man als erfolgreich bezeichnen würde: In meiner Tätigkeit als Unternehmensberater wuchsen Verantwortung und Gehalt überdurchschnittlich und auch mein soziales Umfeld war besser, als ich mir wünschen konnte. Zugleich stellte ich als Ultramarathonläufer fast jedes Jahr neue persönliche Bestleistungen auf und erledigte auch schwere Brocken wie 100-Meilen-Bergläufe oder mehrwöchige Etappenläufe fast nebenher. Niederlagen kannte ich nicht, höchstens den Wunsch, es beim nächsten Mal noch besser zu machen.
Dabei hatte ich über die Jahre hinweg etwas verlernt: Die Besonderheit meiner Leistungen zu sehen und als solche anzuerkennen. Das Aneinanderreihen von erfolgreich gemeisterten Herausforderungen war so „normal“ geworden, dass ich die Möglichkeit von Alternativen aus dem Auge verloren hatte. Nun war ich durch die stetig steigende Zahl von Aufgaben und Laufkilometern dann doch an meine Grenzen gekommen. Da es aber selbstverständlich für mich geworden war, alle anstehenden Herausforderungen anzunehmen und zu meistern, sah ich mich enorm unter Druck. Dieser Druck wuchs und wuchs, bis ich mich ihm nicht mehr gewachsen fühlte und „zusammenbrach“.
Es war nicht so, dass mich jemand von außen (Vorgesetzte, Familie etc.) zu diesen Herausforderungen gezwungen hätte; auch ich habe mich nicht bewusst dafür entschieden. Ich kam erst gar nicht auf die Idee, dass es auch anders ginge!
Es war ein langer Weg und bedurfte einiger Stunden intensiver und anstrengender Coachinggespräche, dies zu erkennen und die Alternative „Herausforderungen prüfen und dann bewusst entscheiden“ zuzulassen.
An dieser Stelle möchte ich nochmals die Individualität der Lösung betonen:
Einer/ einem Betroffenen nun eindringlich dahingehend aufzufordern, nicht mehr jede Herausforderung anzunehmen wird nur mit einer Wahrscheinlichkeit von rd. 1 : 7.000.000.000 Erfolg haben. Denn das war nur meine Lösung und die Anschlussfähigkeit an die Gedankenwelt eines anderen Menschen existiert nur höchst unwahrscheinlich.
Darüber hinaus muss auch der „Nährboden“ für eine solche Erkenntnis vorhanden sein: Natürlich wurde mir schon Monate vor meinem Burnout geraten, „langsamer zu tun“ und zu überlegen, ob das „immer so weiter gehen muss“. Das hatte ich wohl gehört und verstanden. Ich wusste aber leider nichts damit anzufangen! Erst das bewusste Erarbeiten dieser Erkenntnis im Beratungsprozess machte es mir möglich, sie wirksam in meinem Verhalten zu verankern.
Fazit
Die enorm ansteigende Zahl von Burnout-Betroffenen legt den Verdacht nahe, dass wir es hier mit einem Problem zu tun haben, für das es momentan noch keine „Pille“ gibt. Doch im Gegensatz zu den viel zu vielen unheilbaren Krankheiten bedeutet das noch lange nicht, dass keine Hilfe möglich ist!
Wir brauchen lediglich den Mut, uns mit uns selbst zu befassen und qualifizierte Berater und Begleiter, die sich mit uns auf diesen Weg machen. Wenn wir die verzweifelte Suche nach dem Patenrezept gegen Burnout und die Angst davor loswerden, kann es uns sogar eine große Hilfe sein. Meine Zeit als Betroffener war weiß Gott nicht schön, dennoch habe ich damals viel Schönes entdeckt, das ich heute nicht mehr missen möchte.